# 4 Wie der Lebenssinn sich über die Lebensspanne verändert

 

Die Führung eines sinnerfüllten Leben ist als wichtige motivierende Kraft in der menschlichen Entwicklung angesehen. Denn der Lebenssinn ist als wichtige Ressource für Gesundheit,  Resilienz und Glücklichsein in jedem Alter angesehen.

Studien weisen einen Zusammenhang zwischen den Dimensionen des Lebenssinns und dem Alter auf. Nach aktuellen Erkenntnissen hat der vorhandene Lebenssinn über die Lebensspanne einen umgekehrten U-förmigen Verlauf. Es wird angenommen, dass junge Erwachsene über weniger bestehenden Lebenssinn verfügen und eher danach suchen, da sie in ihrer beruflichen und individuellen Rolle in der Gesellschaft noch nicht gefestigt sind. Im Gegensatz dazu haben Erwachsene im mittleren Alter mit Beruf, Familie und Freizeit ihre Rollen gefunden und weisen einen stabilen Lebenssinn auf. Erst im Alter von 60 Jahren mit Anstehen des Ruhestandes, nimmt der bestehende Lebenssinn wieder ab und die Suche nach dem Sinn tritt wieder in den Vordergrund aufgrund der neuen Rollenorientierung (Aftab et al., 2019). 

Weil die erlebten Ausprägungen des bestehenden Sinn im Leben in verschiedenen Altersstufen variieren können, kann es wichtig sein, sich der Sinnfindung zu widmen. Nachdem dieser Prozess in der Adoleszenz beginnt, setzt er sich während des gesamten Lebens fort. Die Stiftung von Sinn im Leben wird nicht nur durch die Weiterentwicklung des Individuums angeregt, sondern es bestehen auch Verbindungen zu Entwicklungsprozessen von Identität, Beziehungen und Zielen (Steger, Oishi & Kashdan, 2009). Dabei spielen der direkte Einfluss der psychologischen Grundbedürfnisse von Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit auf die Sinnhaftigkeit im Leben eine wichtige Rolle (Martela, Unanue, Gomez & Unanue, 2024). Weil zukunftsorientierte Ziele dem Leben eine Richtung geben, verleihen sie dem gegenwärtigen Handeln eine Bedeutung (Martela & Steger, 2016).

 

Aber was bedeutet dies genau für den Einzelnen? 

Ein Blick in die sozialpsychologische Forschung kann darauf Antworten geben, denn sie differenziert unterschiedliche Konzepte von persönlichen Zielen. So bieten die normativen Entwicklungsaufgaben nach Havinghurst (1974) einen globalen Bezugsrahmen, in den persönliche Ziele des Individuums in Abstimmung auf die Lebenssituation, eingebunden werden können. Darunter fallen das Absolvieren einer beruflichen Ausbildung und Erlangung einer finanziellen Unabhängigkeit von den Eltern, eine eigene Wohnung, soziale Kontakte im  Freundeskreis und das Eingehen von Liebes- und Paarbeziehungen bis hin zur Familiengründung.

Die Entwicklungstheorie von Erickson (1968) beschreibt drei Entwicklungskrisen im Erwachsenenalter. Sie postuliert, dass mit der Bewältigung der Konflikte der Mensch Kompetenzen und Fähigkeiten erfährt. Es kommt zur Aufwertung des eigenen Selbstwertgefühls, das mit der Identitätsbildung einhergeht, sowie zur Stabilisierung der sozialen und psychischen Kompetenzen. Diese stellt die Grundlage für eine gelungene Anpassung an persönliche und gesellschaftliche Anforderungen dar. Eine unbefriedigende Konfliktlösung führt zu einer schlechteren Anpassung (Erickson, 1968).

Folgende altersspezifische Phasen in der Sinnfindung können unterschieden werden:

1. Lebenssinn der frühen Erwachsenen (Alter 18 – 39 Jahre)

In dieser Phase scheint der wahrgenommene Lebenssinn unter dem Einfluss des Entwicklungskonflikts „Identität versus Isolierung“ zu stehen. Im Mittelpunkt steht die Exploration des Individuums, um Identität, Karriere und soziale Rollen zu bestimmen und zu etablieren (Arnett, 2000). Die Suche nach Sinn wird als wichtige Entwicklungsaufgabe angesehen, die je nach vorherrschender Kultur in verschiedenen Lebensbereichen erfolgt, insbesondere in den Bereichen Arbeit und Liebesbeziehungen (Mayseless & Keren, 2014).

Junge Erwachsene suchen stärker nach Sinn im Leben (Bodner, Bergman & Cohen-Fridel, 2014). Es besteht die Annahme, dass der Lebenssinn, der sich in dieser Altersspanne entwickelt, den Übergang zu späteren Entwicklungsstadien erleichtert (Damon, Menon & Bronk, 2003). Bei jungen Erwachsenen dominieren Ziele, die die Berufswahl, Ausbildung, Familiengründung und Selbstverwirklichung betreffen. 

2. Lebenssinn der mittleren Erwachsenen (Alter 40 – 65 Jahre)

Menschen empfinden in dieser Phase generell mehr Sinn im Leben (Reker, 2005). Zentraler Kernkonflikt nach Erickson (1968) stellt die Thematik „Generativität versus Stagnation“ dar. Die Bedeutung von Generativität umfasst die Verantwortlichkeit für zukünftige Generationen und deren Unterstützung sowie das Hinterlassen von Spuren in dieser Welt. Es treffen persönliche Ziele und gemeinschaftlicher Nutzen zusammen. Persönliche Ziele in dieser Lebensphase bestehen in Bezug zur Weiterentwicklung im Beruf und der Erziehung der Kinder. Ergänzende Inhalte für sinnstiftende Ziele können sein die Beziehungsgestaltung zum Ehepartner und den alten Eltern, Übernahme sozialer und öffentlicher Verantwortung, Ausbau von Freizeitinteressen (Havinghurst, 1974).

3. Lebenssinn der älteren Erwachsenen (Alter über 65 Jahre)

Die Anpassung an die eintretende Pensionierung kann zur Wahrnehmung eines reduzierten Sinn im Leben führen. Dies kann die Suche nach Sinn auslösen zur Findung neuer Rollen, die dem Leben dauerhaft wieder Sinn geben (Prager, 1998).

Erickson (1968) beschreibt das Kernthema „Ich-Integrität versus Verzweiflung“. Mit der Rekapitulation des Lebens erfolgt die Integration von Lebensentscheidungen zu einem kohärenten Gesamtbild. Gelingt die Integration positiver und negativer Aspekte des gelebten Lebens, stellt sich Wohlbefinden ein und der Tod stellt keine Bedrohung dar (Lang, Martin & Pinquart, 2022). 

Allerdings erscheint diese Altersspanne auch ein dynamisches Entwicklungsstadium zu sein, wenn ältere Erwachsene weiterhin nach Reichtum und Komplexität ihrer Erfahrungen suchen (Tornstam, 1997). Es kommt zur Suche nach bedeutsamen Beschäftigungen um Sinnerfüllung zu erfahren. Persönliche Ziele umfassen Projekte, wie beispielsweise Aktivitäten des täglichen Lebens, aktive Erholung, auf andere Menschen ausgerichtete Engagement, intellektuelle und geistig-moralische Beschäftigungen sowie die Hausplanung (Lawton, Moss, Winter & Hoffmann, 2002). Dies deckt sich mit den Entwicklungsaufgaben von Havinghurst (1974) in dieser Altersphase. Ergänzend schließen diese die Anpassung an das Nachlassen der physischen Stärke und Gesundheit und den möglichen Tod des Ehepartners ein.

Wenn Sie Ihrem Leben mehr Sinn verleihen möchten, dann geben diese Erkenntnisse Ihnen Orientierung bei der Suche nach sinnstiftenden Projekten und Aktivitäten – abhängig von Ihrem Alter. Selbstverständlich spielt dabei Ihre individuelle Biografie eine Rolle, die Einfluss nimmt auf Ihre Einstellungen, Überzeugungen und Bewertungsprozesse.

Mehr dazu können Sie im Beitrag # 1 Innerpsychische Einflussfaktoren auf den Lebenssinn lesen.

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Aftab, A., Lee, E., Klaus, F., Daly, R., Wu, T., Tu, X., Huege, S. & Jeste, D. V. (2019). Meaning in life and its relationship with physical, mental and cognitive functioning. The Journal Of Clinical Psychiatry, 81(1), https://doi.org/10.4088/jcp.19m13064

Arnett, J.J. (2000). Emerging adulthood. A Theory of development from the late teens to through the twenties. The American Psychologist, 55(5), 469-480. https://doi.org/10.1037/0003-066X.55.5.469

Bodner, E., Bergman, Y. S. & Cohen-Fridel, S. (2014). Do attachment styles affect the presence and search for meaning in life ? Journal of Happiness Studies: An Interdisciplinary Forum on Subjektive Well-Being, 15(5), 1041-1059, https://doi.org/10.1007/s10902-013-9462-7.

Erikson, E. H. (1968). Identity: youth and crisis. New York: Norton.

Damon, W. Menon, J. & Bronk, K. C. (2003). The development of purpose during adolescence. Applied Developmental Science, 7 (3), 119 .128. https://doi.org/10.1207/S1532480XADS0703_2

Havinghurst, R. J. (1974). Developmental tasks and education (3rd ed.). New York: McKay.

Lang, F., Martin, M. & Pinquart, M. (2011). Entwicklungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.

Lawton, M. P., Moss, M. S., Winter, L. & Hoffman, C. (2002). Motivation in later life: personal projects and well-being. Psychology and Aging, 17(4), 539–554. https://doi.org/10.1037/0882-7974.17.4.539

Martela, F. & Steger, M. F. (2016). The three meanings of meaning in life: distinguishing coherence, purpose, and significance. The Journal of Positive Psychology, 11(5), 531– 545. https://doi.org/10.1080/17439760.2015.1137623

Martela, F., Unanue, J., Gomez, M. & Unanue, W. (2024). Reciprocal relations between meaning in lfe, beneficence ans psychological needs for auronomy, competence, and relatedness: evidence from a three-wave longitudinal study. Journal of Happiness Studies, 25(3). https://doi.org/10.1007/s10902-024-00741-y

Mayseless, O. & Keren, E. (2014). Finding a meaningful life as a developmental task in emerging adulthood: The domains of love an work across cultures. Emerging Adulthood, 2(1), 63-73. https://doi.org/10.1177/2167696813515446

Prager, E. (1998). Observations of personal meaning sources for Israeli age cohorts. Aging and Mental Health, 2(2), 128-136. https://doi.org/10.1080/13607869856812

Reker, G. T. (2005). Meaning in life of young, middle-aged, and older adults: factorial validity, age, and gender invariance of the Personal Meaning Index (PMI). Personality and Individual Differences, 38(1), 71–85. https:doi.org/10.1016/j.paid.2004.03.010

Steger, M. F., Oishi, s. & Kashdan, T. B. (2009). Meaning in life across the life span: levels and correlates of meaning in lfe from emerging adulthood to older adulthood. The Journal of Positive Psychology, 4(1), 43-52. https://doi.org/10.1080/17439760802303127

Tornstam, L. (1997). Gerotranscendence: The contemplative dimension of aging. Journal of Aging Studies, 11(2), 143-154. https://do.org/10.1016/S0890-4065(97)90018-9

Sandra Fürstberger

Heilpraktikerin (Psychotherapie)

B.Sc. Psychologie

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